Nino Haratischwili im Gespräch mit Kristina von Klot

Die vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin und Theaterregisseurin stammt aus Georgien, lebt in Hamburg und ist zurzeit Stipendiatin in der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Dort wohnt und arbeitet die 34-Jährige Autorin des Romans „Das achte Leben (für Brilka)“ drei Monate lang auf dem Gelände der ehemaligen Sommerresidenz des deutschen Botschafters.

Nino Haratischwili im Gespräch mit Kristina von Klot:

Wie nutzen Sie das Stipendium der Kulturakademie Tarabya als Schriftstellerin?

Ich kann hier sehr viel konzentrierter arbeiten als zuhause, wo es viele Ablenkungen und ständig etwas anderes zu tun gibt. Hier dagegen bin ich weitgehend vom Alltag in Deutschland abgeschirmt und genieße die luxuriöse Lage in der Abgeschiedenheit: Hier wohnt man direkt neben einem Wald, eine halbe Stunde mit dem Bus entfernt von Istanbuls Zentrum mit all seinen Verführungen. Das Meer liegt vor der Tür, und im idyllischen Vorort gibt es alles, was man zum Leben braucht. Zum ersten Mal bin ich auch mit Mann und Kind hier, mit unserer zehn Monate alten Tochter Kyra, worüber ich sehr froh bin. Denn die meisten Auslandsstipendien erlauben es leider nicht, dass man seine Familie mitnimmt. Das klingt für mich so, als müsste man sich als Autorin entscheiden, sich entweder nur als Künstlerin oder nur als Mutter zu definieren, was in meinen Augen völlig lebensfremd ist.

Haben Sie denn auch Kontakt zu anderen Orten – und zu Künstlern außerhalb Ihres Wohnorts?

Wann immer mir die Decke auf den Kopf fällt, kann ich auf das Netzwerk der Kulturakademie Tarabya zurückgreifen. Darüber lassen sich die Stadt und ihre Bewohner jenseits touristischer Pfade kennenlernen – und man erfährt, wo es interessante Ausstellungen oder Jam-Sessions gibt. Allerdings ist es leichter, mit Musikern und bildenden Künstlern in Kontakt zu kommen, die sich ständig irgendwo treffen, als mit Schriftstellern, bei denen die Sprachbarriere hinzukommt. Allerdings habe ich das Glück, dass mein Buch „Das achte Leben (für Brilka)“ ins Türkische übersetzt wurde und eine gemeinsame Lesung und Diskussion mit einer türkischen Autorin stattfand. Die Buchmesse, die Anfang November in Istanbul eröffnet wurde, war auch ein Ort, an dem man spannende Gespräche führen konnte.

Teilt sich Ihnen in Ihrer privilegierten Situation eigentlich auch die schwierige politische Lage der türkischen Zivilgesellschaft mit?

Von außen betrachtet verbietet sich jede Verallgemeinerung. Die Situation stellt sich vor Ort differenzierter dar als man das aus der Ferne in Deutschland meinen könnte. Ich erlebe durchaus eine lebendige Kulturszene in der Stadt. Anderseits merke ich schon, dass durch persönliche Erzählungen über Menschen, die jemand gut kennt, Geschichten aus ihrer gewohnten Anonymität gerissen werden und mich emotional stärker berühren, als wenn ich darüber nur über die Medien erfahren hätte.

Haben Sie im Vorfeld damit gehadert, in diesen politisch unsicheren Zeiten für ein Stipendium nach Istanbul zu gehen?

Vor allem mein Freundeskreis war da geteilter Meinung. Manche hielten das für keine gute Idee. Mit dieser Haltung kann man aber heute kaum mehr ein Land bereisen. Mich erinnert das an Diskussionen, als ich für die Recherche eines anderen Buchs vor Jahren einige Zeit in Russland verbracht habe. Ich finde es wichtig, gerade jetzt in der Türkei zu sein. Auch die Mehrheit der Künstler in Istanbul sagt immer wieder, wie viel ihnen der Austausch bedeutet.

Wie läuft ein solcher Austausch denn ab? Sie waren ja bereits vor einem Jahr als Stipendiatin in Istanbul.

Das Goethe-Institut unterstützt uns Stipendiaten dabei, mit türkischen Künstlern und Kulturschaffenden in Kontakt zu kommen. Seitens türkischer Autorinnen und Autoren gibt es großes Interesse an Begegnungen und Koproduktionen. Was viele Kollegen außerdem sehr interessiert, ist, dass ich als Schriftstellerin nicht in meiner Muttersprache schreibe.

Es erscheint tatsächlich erklärungsbedürftig, dass Sie als Georgierin Deutsch als Ausdrucksmedium gewählt haben.

Das war weniger eine Entscheidung, die ich bewusst traf, als eine, die mich getroffen hat! Da ich als Jugendliche meine Mutter begleitet hatte, die aus beruflichen Gründen für zwei Jahre nach Deutschland zog, konnte ich die Sprache schon ziemlich gut, als ich 2003 in Hamburg mein Studium der Theaterregie begann. In der Vorbereitung meines ersten eigenen Stücks dachte ich, es wäre vielleicht leichter, gleich auf Deutsch zu schreiben, statt es später zu übersetzen. Letztlich entsprach das damals auch einer gewissen Distanz in Bezug auf das, worüber ich schrieb. Mittlerweile lebe ich seit 13 Jahren in Hamburg, und Deutsch ist zu einer Art Zuhause geworden, das ich kaum mehr hinterfrage. Im Gegenteil, es eröffnet mir sogar große Spielräume. Denn wer aus einem anderen Kulturkreis kommt und auf eine fremde Sprache trifft, macht sich diese immer auf die eine oder andere Art schließlich doch zu eigen.

 

Das Interview wurde für Goethe.de geführt und am 08.11.2017 veröffentlicht.