David Wagner „Der vergessliche Riese“ (2019)
Moderation und Übersetzung: Fügen Uğur
Eine Familie erlebt einen Rollentausch: Der Vater, zweifach verwitwet, ist wieder Kind geworden. Er braucht Betreuung und wird sein Haus verlassen müssen, denn er vergisst, was gerade eben noch gewesen ist. Immer wieder erzählt er seine Liebesgeschichten, und manchmal phantasiert er.
Nach dem Bestseller Leben, ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, schafft David Wagner etwas, das sehr kostbar ist: Er zeigt einen Menschen, der – obwohl er nur noch in der Gegenwart lebt und allmählich verschwindet – unverwechselbar bleibt mit all seinen liebenswerten Eigenheiten und den Erinnerungen, die er noch hat. Die Zärtlichkeit, die der Erzähler ihm bei seinen Besuchen und auf zahlreichen Autofahrten zu Orten der Vergangenheit entgegenbringt – „hier haben wir gewohnt, Papa, hier hast du gearbeitet, hier bist du aufgewachsen“ –, berührt tief, auch die Geduld, der Humor, das Ausbleiben von Hadern und Wut. Ganz leise, fast unmerklich, schreitet die Demenz voran, doch sie verläuft hier ohne Schrecken. Der alte Galan, den seine Brüder wie früher Valentino nennen, ist glücklich, obwohl er weiß, was mit ihm ist. Ein großes Thema unserer Zeit, das immer mehr Menschen betrifft. Und eine unvergessliche Erzählung.
David Wagner, 1971 geboren, debütierte mit dem Roman Meine nachtblaue Hose. Es folgten u.a. die Bücher Spricht das Kind, Vier Äpfel, Welche Farbe hat Berlin und Ein Zimmer im Hotel, alle im Rowohlt Verlag. Sein Roman Leben wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2013 und dem Best Foreign Novel of the Year Award 2014 der Volksrepublik China ausgezeichnet, eine türkische Ausgabe (Hayat) erschien 2015 bei Everest. 2014 erhielt David Wagner den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster Friedrich-Dürrenmatt-Professor für Weltliteratur an der Universität Bern. Zuletzt, im Herbst 2019, ist der Roman Der vergessliche Riese erschienen.
David Wagner war von Januar bis einschließlich Juni 2015 Stipendiat der Kulturakademie Tarabya und wird nun im Rahmen einer Verlängerung von November bis Dezember erneut Stipendiat der Kulturakademie sein.